Scheitern ist ein Tabuthema

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… so zumindest die Überschrift in einem Artikel einer Fachzeitschrift.

In der Folge wurden die sattsam bekannten und aus meiner Sicht sicher gut gemeinten, jedoch unsinnigen Empfehlungen im Umgang mit „Scheitern“ aufgelistet. So müsse man eben ein „Scheitern“ anerkennen, sich dem Scheitern stellen, nach dem Motto „Jeder scheitert irgendwann einmal, keiner ist perfekt“!

Wieso aber muß ich ein „Scheitern“ anerkennen? Wenn ich etwas verändern will, muß ich den Unterschied zwischen SOLL und IST anerkennen. Das hat mit „Scheitern, nichts, aber auch gar nichts zu tun! Ich kann anerkennen, dass ich auf dem Weg zum Ziel, besser zum Ergebnis, dies oder das nicht gemacht habe oder anders gemacht habe, als es für das Erreichen des Ziels/des Ergebnisses förderlich gewesen wäre. Und dass es dafür gute Gründe gab. Es geht also um eine Abweichung und nicht um ein Scheitern.

Was passiert jedoch in einem „normalen“ erwachsenen Menschen, wenn er sich selbst oder von außen vollzogen mit Etiketten wie „Scheitern“ – „Fehlern“ – „Lob“ – „Dumm gelaufen“ – „Kritik“ – „Gut oder Schlecht“ – „Versagen“ usw.  attribuiert? Nun, er oder sie wird sich selbst oder von außen stimuliert  unweigerlich und automatisch in einen früheren Ego State, nämlich das angepasste Kind-Ich entweder in der Ausprägung reaktiv oder rebellisch regredieren.

Und damit sind wir beim Thema „Scham“. Immer dann, wenn wir unsere Person negativ bewerten oder von außen bewertet werden, kommen wir unwillkürlich mit Scham in Kontakt. Und das ist ein Sch…gefühl.

Dann würden wir am liebsten unsichtbar werden, vom Planeten verschwinden. Ich kenne niemand, dem diese Erfahrung fremd wäre. Damit und dadurch wird anerkannt, dass es so etwas wie „Scheitern“ – „Fehler“ etc. überhaupt gibt. Und das ist purer Unsinn! All die von unseren früheren Bezugspersonen für unsere „Erziehung“ oder besser „Abrichtung“ verwendeten Bewertungen haben nur eines erreicht. Nämlich, dass wir uns gut oder schlecht fühlten, je nachdem ob der Daumen oben oder unten war. Mit der der Bewertung zugrunde liegenden Sache haben diese erzieherischen Methoden nichts aber auch gar nichts zu tun. In diesem Paradigma übergeben wir die Verantwortung für unser Selbstwertgefühl, unser Okay-Sein, den anderen.

Das Etikett „Scheitern“ ist, wie jedes andere Etikett jedoch nichts anderes als ein Konstrukt. Denn es gibt weder „Fehler“ noch „Gut“ oder „Schlecht“, weder „Falsch“ noch „Richtig“…. Was es jedoch gibt, sind Fakten und Lernprozesse. Ein Fakt könnte zum Beispiel sein, dass ich eine an mich selbst gestellte Erwartung oder die einer anderen Person nicht erfüllt habe. Das ist weder gut noch schlecht, es ist ein Fakt.

Wenn ich ein professionell handelndes Gegenüber habe der oder die mir  in diesem Fall signalisiert: „Wir haben dies oder das vereinbart, oder dies oder das war Ihre Aufgabe. Das Ergebnis jedoch ist, dass dies oder das fehlt oder anders gemacht wurde, wie es unserer Vereinbarung nach hätte sein müssen“ (wobei auch geklärt werden muß, ob Sender und Empfänger der Botschaft eine „gemeinsame Wirklichkeit“ von dem vom Sender erwarteten Ergebnis hatten), dann sprechen wir von einem Abweichungs-Klärungsgespräch und nicht von einem Kritikgespräch und vermeiden dadurch die Bewertung der Person.

Kurzum: Wenn wir aufhören, uns selbst mit Bewertungs-Etiketten ab- oder aufzuwerten und wenn wir aufhören, andere ebenfalls auf- oder abzuwerten, hätten wir sicher eine reelle Chance, dass Kommunikation auf einer „Ich bin okay – Du bist okay“ Ebene und damit aus dem Ego State der Erwachsenen Persönlichkeit vollzogen wird. Dies wäre meines Erachtens auch ein wesentlicher Beitrag zur Mündigkeit und Humanität. Bei Bedarf werde ich Sie oder die Mitarbeiter/Führungskräfte Ihrer Organisation gerne unterstützen.

Ihr Hans-Peter Wimmer