Der integrierte Vertrieb

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White Paper von Thomas Schulte

Vertrieb ist für viele der schönste Beruf der Welt. Eingefleischte Vertriebler genießen den direkten Kontakt zum Kunden, schätzen die abwechslungsreiche und anspruchsvolle Tätigkeit, die Entscheidungsspielräume und Erfolgserlebnisse bietet, ein breites Knowhow erfordert und – angemessen bezahlt wird.

Allerdings scheint sich die Lage in den letzten Jahren deutlich verschlechtert zu haben. Viele Führungskräfte im Vertrieb sind ermüdet, manche desillusioniert. Selbst wenn sie die hohen Leistungsvorgaben erreichen, wissen sie, dass als „Belohnung“ nächstes Jahr die Ziele einfach wieder um einen bestimmten %-Satz hochgesetzt werden. Eine Tretmühle, aus der es kein Entrinnen gibt und die die Arbeit als perspektivlos erscheinen lässt.

Dabei könnte aus Sicht des Vertriebs mehr verkauft werden, wenn nur alle im Unternehmen an einem Strang ziehen würden. Man fühlt sich ausgebremst, beispielsweise durch eine schleppende Behandlung von Reklamationen, mangelnder Innovationsbereitschaft oder verspäteten Auslieferungszeiten. Oft hört man den Satz „Wir könnten viel mehr umsetzen, wenn wir intern besser organisiert wären und uns nicht so viele vertriebsfremde Aufgaben aufgehalst werden würden“.

Der Vertrieb scheint in einer Sackgasse zu sein. Da in Sackgassen ein „mehr vom gleichen“ oder „weiter so“ kaum zum Ziel führt, ist ein Neudenken erforderlich.

Änderung der Stellschrauben

Damit der Vertrieb seine volle Leistungsfähigkeit entfalten kann, muss er nicht nur selbst optimal aufgestellt sein, er braucht auch die richtigen Rahmenbedingungen im Unternehmen.

Der Vertrieb ist vergleichbar mit dem Sturm einer Fußballmannschaft. Beide haben die Aufgabe Tore zu schießen, beziehungsweise den Umsatz an Land zu ziehen. „Tore“ zu schießen ist das ultimative Ziel jeder Vertriebsorganisation. Dafür ist sie da, wie der Sturm einer Fußballmannschaft.

Was aber wenn die Bezahlung der Spieler nach Toren erfolgen würde? Der Schuss ginge im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten los, es gäbe nämlich kaum noch Tore. Jedes Tor ist eine Gemeinschaftsproduktion. Im Fußball spricht man vom „Assist“, mit dem der Spieler bezeichnet wird, der dem Torschützen den entscheidenden Pass zugespielt hat. Wenn nur der Torschütze eine Bezahlung bekäme, würden keine Tore mehr fallen, weil niemand mehr den „Assist“ spielt und natürlich auch niemand den „Assist zum Assist“ und so weiter.

Also darf sich auch die Bezahlung eines Vertrieblers nicht daran ausrichten, wieviel „Tore“ er geschossen hat. Denn das „Tor“, d.h. der Umsatz, ist die Gesamtleistung des ganzen Unternehmens, all der Mitarbeiter die „Assist“ waren, angefangen vom Einkauf, über die Produktion, Auslieferung bis hin zum Key Account Manager und Produkt Manager. Die Abkehr von individuellen Leistungsprämien (beziehungsweise Torprämie), hin zur Vergütung des Mannschaftserfolgs bedeutet aber für den Vertrieb nicht weniger Gehalt, im Gegenteil.

Die kritischen Erfolgsfaktoren

Im Sport sind Mannschaften transparent und sichtbar. Manche spielen sogar vor Millionenpublikum. Jeder einzelne Spieler wird bewertet, allerdings nicht primär nach Toren, sondern inwieweit er zum Gesamterfolg beigetragen hat. Dazu werden je nach Sportart die unterschiedlichsten Aktionen einbezogen, die Anzahl der Pässe, deren Genauigkeit, Anzahl der gewonnenen Zweikämpfe, Laufwege, das Engagement im Training und vieles mehr. Man beachte: nichts davon hat mit Toren (Umsatz) direkt zu tun, sondern ist ein direkter oder indirekter „Assist“ zum Tor.

Natürlich werden die Spieler nicht nach diesen kritischen Erfolgsfaktoren bezahlt. Stellen Sie sich nur einmal vor: Jeder gewonnene Zweikampf 500€, jeder gelaufene Kilometer 1000€, jeder genaue Pass 5000€ etc. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, das Spiel zu gewinnen, wären die armen Spieler ständig am Rechnen, was sich jetzt gerade mehr lohnt. Nein, für die Spieler entscheidend muss sein, was die Spielsituation erfordert. Jetzt, in diesem Moment.

Im Coaching spielen diese kritischen Erfolgsfaktoren allerdings sehr wohl eine Rolle, denn sie sind direkt beeinflussbar und spielentscheidend. Sie geben Hinweise darauf, wie die Spieler und die Mannschaft sich verbessern und weiterentwickeln können.

Gleiches gilt für den Vertrieb. Wie bei jeder guten Mannschaft, ist auch hier die Analyse, Messung und Sichtbarkeit der kritischen Erfolgsfaktoren auf Einzel- und Teamebene unabdingbar. Beispiele: Wie oft hat der Mitarbeiter Kundenwünsche an die Entwicklung weitergeleitet („Pässe getätigt“) und wie viele dieser Vorschläge wurden dort aufgegriffen und umgesetzt („Passgenauigkeit“)? Wie oft hat der Mitarbeiter neue Kunden besucht („der Drang zum Tor“)? Wie zufrieden waren die Kunden mit dem Gespräch („Vorbereitung eines Tores“) und wie hoch das damit verbundene Neugeschäftsvolumen („Tore“)? Wie oft hat ein Mitarbeiter interne Konflikte mit guter Kommunikation frühzeitig abgewendet und gar nicht erst entstehen lassen („vorausschauendes Verhalten und Überblick“)?

Eine gute Analyse der kritischen Erfolgsfaktoren ist das Fundament des Vertriebs- und Unternehmenserfolgs. Wie im Sport darf auch hier auf gar keinen Fall die Bezahlung der Mitarbeiter darauf aufbauen, sondern nur das Coaching. Nicht nur, weil die armen Vertriebler sonst zu Rechenmaschinen degradiert werden würden, sondern auch, weil eine Messung immer unvollständig ist und allzu leicht zu Fehlsteuerungen führt, wenn sie nicht mit gesundem Menschenverstand ergänzt wird. Beispielsweise ist die Anzahl der Kundenkontakte wichtig, für den Umsatz ist allerdings genauso wichtig, ob die kontaktierten Kunden die Produkte an Freunde und Bekannte weiterempfehlen und letzteres kann man kaum messen, es sei denn der Kunde erzählt dem Unternehmen davon.

Die kritischen Erfolgsfaktoren dienen also nicht primär der Bezahlung, sondern der Weiterentwicklung und dem Coaching der Mitarbeiter. Dabei ist der Dialog aller Beteiligten entscheidend. Man muss sich als Mannschaft regelmäßig zusammenfinden und über das erreichte und das mögliche diskutieren. Die Realität ist zu komplex und verändert sich zudem zu schnell, als dass sie über ein noch so ausgefeiltes Kennzahlensystem ein für alle Mal dargestellt werden könnte.

Das geht am besten, wenn sich der Vertrieb als Teil einer großen integrierten (Unternehmens-) Mannschaft begreift. Deshalb darf man den Dialog nicht nur auf den Vertrieb begrenzen, sondern sollte regelmäßig auch die anderen Bereiche des Unternehmens hinzuziehen, wie zum Beispiel die Produktentwicklung, Einkauf und Produktion. Denn letzten Endes sind alle am „Tor“ beteiligt. Laden Sie alle Beteiligten ein und bestimmen Sie die kritischen Erfolgsfaktoren. Jeder im Unternehmen kann dazu beitragen, dass mehr „Tore“ geschossen werden! Ist der Vertrieb integriert, wissen alle, wie und wo sie zum „Tor“ beitragen können.

Aufbau Mannschaft

Sprechen Sie in Ihrem Unternehmen auch von „unserer Vertriebs-Mannschaft“? Und ist damit wirklich eine Mannschaft gemeint oder eher ein Chaos-Trupp? Ist es ein „Einer für alle, alle für einen“, oder versucht jeder aufs Tor zu schießen auf Teufel komm raus? Werden Informationen uneigennützig geteilt („abgegeben“) oder kritische Situation vermieden, möglichst wenig gelaufen und bei einer Niederlage dem anderen die Schuld in die Schuhe geschoben?

In der Realität sind echte Mannschaften selten, denn es gibt kaum gemeinsame Ziele und keinen klaren Fokus einer am gemeinsamen Erfolg ausgerichteten Vergütung. Auch werden die kritischen Erfolgsfaktoren kaum festgehalten und gemeinsam diskutiert, noch fließen sie in ein Coaching ein.

Um den Weg zu einer integrierten Vertriebsmannschaft zu ebnen, muss die Organisation zunächst die Voraussetzungen anpassen, innerhalb derer der Vertrieb agiert. Die Hinwendung zur Vergütung des Mannschaftserfolgs erfordert eine neue Balance zwischen internem Wettbewerb und Gemeinschaftsdenken. Wettbewerb ist erwünscht, solange er dazu führt, sich bei den kritischen Erfolgsfaktoren einzubringen, sich an dem Dialog darüber zu beteiligen und die individuellen Leistungen sichtbar und diskutierbar zu stellen.

Der Wettbewerb darf jedoch nicht so weit gehen, dass man gegeneinander ausgespielt wird und sich gegenseitig misstraut. Beispiele dafür sind die „wall of shame“, eine Standardfunktion in einer weitverbreiteten CRM Software, bei der auf der Anmeldeseite immer die aktuell fünf schlechtesten Vertriebler (mit Foto) abgebildet werden. Aber auch andere „Daumenschrauben“ ruinieren den Teamspirit, etwa die sogenannten „forced rankings“, bei denen ein gewisser %-Satz der Mitarbeiter immer als Underperformer ausgewiesen wird, ungeachtet ihrer Leistung. Die damit ausgelöste Panik kann die Motivation erhöhen. Allerdings hat solch ein Unternehmen dann nur noch Einzelkämpfer, die sich nicht um das Wohl des Unternehmens scheren.

Eine Mannschaft muss permanent an sich arbeiten, um das hohe Leistungsniveau zu halten. Jeder Einzelne an sich persönlich und zwar in einer mannschaftsdienlichen Art und Weise. Diese duale Arbeit, an sich und gemeinsam, ist entscheidend. Wie auf dem Spielfeld gilt auch im Vertrieb: Ohne kontinuierliches Coaching keine Leistung auf Top-Niveau. Kein noch so ausgefeilter interner Wettbewerb kann diese Arbeit ersetzen.

Eine integrierte Mannschaft zu sein, hat für den Vertrieb einige bedeutende Vorteile. Viele halten den Vertrieb für die reizvollste Aufgabe der Welt. Und dies gemeinsam mit anderen zu tun, macht die Sache nur noch faszinierender.

Mehr vom gleichen macht die Situation nur noch schlimmer

Natürlich bleiben dem Management diese Leistungspotenziale nicht verborgen und versucht sein bestes, den Vertrieb zu motivieren und zu unterstützen.

Eine Maßnahme, die oft ergriffen wird, ist die Einführung neuer Boni-Systeme beziehungsweise die Erweiterung der bestehenden, etwa um Boni für die Neukundengewinnung, die Kundenzufriedenheit, das Umsatzwachstum u.v.m. Allerdings ist deren motivierende Wirkung zeitlich begrenzt, da bald ein Gewöhnungseffekt an die neue Gehaltslage eintritt. Oft tritt jedoch genau das Gegenteil des gewünschten Effekts ein: die Motivation sinkt und die Frustration steigt. Nämlich dann, wenn in der Organisation eine „Jetzt-soll-es-das-Geld-richten“-Haltung entsteht, eine Mischung aus Unverständnis und Frustration.

Zudem ist es bei Bonus-Programmen so gut wie unmöglich, Fehlsteuerungsimpulse zu vermeiden, weil etwa nach einer durch Boni geförderten Neukundengewinnung die Bestandskundenpflege (die profitabler ist) vernachlässigt wird.

Wo die Boni versagen, sollen manchmal Berater die Vertriebler wieder „auf Spur“ bringen. Eine Aufgabe, die, wenn überhaupt, nur kurzfristig eine Verbesserung erzielt. Manchmal setzen die Unternehmen auf noch mehr Druck durch Reorganisationen und Kostensenkungsprogrammen. Kein Wunder, dass die Menschen im Vertrieb über gesundheitliche Probleme klagen. Schlechter Schlaf, nicht abschalten können, Magenprobleme und Rückenschmerzen sind allgegenwärtig. Leistungssteigernde Medikamente sind auf dem Vormarsch, oft ist Alkohol im Spiel, Intrigen an der Tagesordnung und die Loyalität zum Unternehmen im Keller. Von den krankmachenden Arbeitsbedingungen ganz abgesehen, büßen die Unternehmen so Umsatz, Marktanteile und Kundenzufriedenheit ein.

Eine integrierte Vertriebs-Mannschaft, wohl vernetzt im Unternehmen, ist eine der größten Leistungsreserven heutiger Organisationen. Solch eine Mannschaft aufzubauen und zu führen, bedeutet auf Angst und Druck ein stückweit zu verzichten. Im Gegenzug erfordert sie situativ in der Führung, Kommunikation und Coaching auf die Entwicklungspotenziale der Mitarbeiter einzugehen. So werden Leistungsreserven ausgeschöpft. Dann kann auf moderne Folterinstrumente wie eine „Wall of Shame“ oder forced rankings mit ruhigem Gewissen verzichtet werden und der Vertrieb, wie die anderen Unternehmensbereiche, gleichermaßen am Gesamterfolg beteiligt werden – der größer ausfallen wird, und dadurch alle besserstellt.